Obwohl Jack London zu seiner Zeit und darüber hinaus einer der bekanntesten amerikanischen Schriftsteller der Welt war, wird er in wissenschaftlichen Werken über amerikanische Literaturgeschichte eher stiefkindlich behandelt. Einige Aussagen aus literaturwissenschaftlichen Büchern:
Er hinterließ eine kleine Anzahl von Schriften, die es ihrer Aufrichtigkeit und Lebendigkeit wegen Wert sind, vor der Vergessenheit bewahrt zu werden, wenn auch die künstlerischen Fehler seines Gesamtwerkes auf der Hand liegen. (Canby/Johnson/Spiller/Thorp, Literaturgeschichte der Vereinigten Staaten, Mainz 1959, S.104)
"Jack Londons Ruf beruht zu einem hohen Grade auf der Faszination der von ihm geschaffenen öffentlichen Persona als Rebell und Abenteurer. Die große Zahl biographischer Studien sowie seine lang andauernde Vernachlässigung durch die Literaturwissenschaft belegen dies." (Engler/Müller, Lexikon amerikanischer Autoren, Stuttgart-Weimar 2000, S. 407)
"Vor der Welt war er ein großer schriftstellerischer Erfolg gewesen, denn London war zu seiner Zeit bei weitem der berühmteste Name in der amerikanischen Literatur, der in allen Weltteilen mit Begeisterung gelesen wurde, und er besaß in Kalifornien eine schlossartige Besitzung neben all dem anderen Luxus, den sein amerikanisches Herz begehrte. Aber es wohnten zwei Seelen in seiner Brust, und während eine sich mit Lust dem materiellen Dasein hingab, den endlosen Abenteuern, dem Wohlleben und den Frauen, deren er sich nicht erwehren konnte, und auch den Vertrag mit dem Zeitungskönig Hearst annahm, für den er gegen ein fürstliches Gehalt jährlich ein vorgeschriebenes Quantum Literatur produzieren musste, war es der anderen Seele bei all dem nicht wohl, und als ihm bewusst wurde, dass er trotz seiner großen Körperkraft sein Leben und sein Ansehen verschwendet und sein bedeutendes Künstlertum nie richtig gepflegt und es schließlich verschachert hatte, da mag ihn der Lebensekel und der Überdruss übermannt haben." (Lüdeke, Geschichte der amerikanischen Literatur, Bern-München 1952, S.358)
"Es ist dies eine Geschichte (Überlebenskampf und Wiedergeburt, Anm. d.Verf.), die London im folgenden in immer neuer Version, aber mit wachsender Monotonie präsentiert. Mit "The call of the wild (Lockruf der Wildnis)" war das erzählerische Grundmuster so erfolgreich etabliert worden, dass nachfolgende Romane und Kurzgeschichten als zunehmend schwacher Aufguss empfunden wurden. Londons schriftstellerische Karriere gilt daher als eine, die furios begann und im folgenden nur noch bergab gehen konnte. ... Als er 1916 an den Folgen seines Alkoholismus stirbt, hinterlässt London ein Werk, das in seinen naturalistischen Tierparabeln heute eher oberflächlich wirkt, dann aber doch wieder in seiner inneren Zerrissenheit fasziniert." (Zapf, Amerikanische Literaturgeschichte, Stuttgart 1997, S.215/216)
Merkwürdig erscheint die z.T. vernichtende Kritik seines schriftstellerischen Werks auch aufgrund der Tatsache, dass Jack London viele neuere amerikanische Autoren beeinflusst hat: Ernest Hemingway, Norman Mailer, John Kerouac und andere. Jack London war dafür bekannt, dass er junge Schriftsteller unterstützte. Er bekam in seinen späten Jahren täglich Manuskripte junger Autoren zugeschickt, die er aufmerksam las und mit Kommentaren versehen zurück schickte. Freigiebig gab er die Erkenntnisse weiter, die er sich mühsam durch seine literarischen Selbststudien erworben hatte. Seine Briefmappe enthält Schreiben von fast allen Schriftstellerkollegen seiner Zeit, die ihn um Rat baten. Was könnten also die Gründe dafür sein, dass Jack London, zwar vom Lesepublikum geliebt, von der literarischen Fachwelt jedoch geschasst wurde?
Ich erhebe nicht den Anspruch auf die ganze Wahrheit, wenn ich einige Punkte aufführe, die nach meiner Meinung die Abqualifizierung Jack Londons begründen:
Da sind zum einen die Schriftstellerkollegen und die Verleger: Lange Zeit versuchte die literarisch-künstlerische Elitegruppe um George Sterling u.a. Jack London in ihre Künstlerkolonie am Carmel-Hill einzubinden. George Sterling, den fast eine Liebesbeziehung mit Jack London verbindet, reagiert eifersüchtig auf Jacks Eheschließungen vor allem auf seine Ehe mit Charmian. Es soll später allerlei unhaltbare Theorien über Jacks Tod verbreiten. Die oben erwähnten jungen Schriftsteller, die Jack London Manuskripte schickten, mussten damit rechnen, dass Jack London bei der Rezension kein Blatt vor den Mund nahm. Das kränkte einige der Autoren, und sie trugen es Jack London lange nach. Ein weiterer Punkt sind die Vorwürfe, dass er abgeschrieben hätte, eine Sache, die Schriftsteller sich gegenseitig nicht verzeihen. Jack London hatte mehrere Gerichtsverhandlungen wegen dieser Anschuldigungen durchzustehen. Tatsache ist, dass er Entwürfe von Geschichten bei anderen Schriftstellern einkaufte. Z.B. kaufte er vom späteren Literaturnobelpreisträger, seinem um 9 Jahre jüngeren Freund Sinclair Lewis 14 Geschichtenideen zu je 5 $, auch weil er wusste, dass Lewis zu jener Zeit total abgebrannt war, verwendete von den 14 Ideen letztlich nur 3 für eher schwache Geschichten. Dann gab er teilweise ganz unumwunden zu, dass er sich durch das Lesen von anderen Autoren beeinflussen ließ und Ideen aufgriff, die andere gehabt hatten. Ein Beispiel ist das Buch "Vor Adam", eine Geschichte, die in der Altsteinzeit, dem Beginn der Menschheitsgeschichte spielt. London hatte sich ausführlich mit den Theorien Darwins befasst. Vor Darwin glaubten die Menschen daran, dass die Schöpfungsgeschichte der Bibel im wörtlichen Sinne für wahr zu nehmen ist. Auch heute noch gibt es selbst in der westlichen Welt ungemein viele ideologische Strömungen und Gruppen, die die Evolutionstheorie Darwins ablehnen und die verbreiten, dass der Mensch von Adam und Eva abstammt. Darwin hat das Denken über die Entwicklung des Lebens und der Entwicklung des Menschen dramatisch revolutioniert. Jack London war überzeugter Darwinist und bezog leider aus dieser Denkrichtung auch seine rassistischen Vorurteile zur Überlegenheit der arischen Rasse, die uns nur wenige Jahre nach Londons Tod als ideologische Zeitströmung den Nationalsozialismus bescheren sollte. Die Bücher Darwins beeinflussten zu Anfang des 20. Jh. eine Reihe von Science Fiction Autoren zu Geschichten über den Beginn der Menschheitsgeschichte. Nachweislich erschienen kurz vor Jack Londons "Vor Adam" die beiden Bücher "Die Geschichte des Ab" von Stanley Waterloo (der auch die Geschichte "Armageddon" schrieb, die als Filmvorlage für den gleichnamigen Film verwendet wurde) sowie die Erzählung von H. G. Wells: "Eine Geschichte aus der Steinzeit". (H. G. Wells ist als Science Fiction Autor mit vielen phantastischen Stories bekannt geworden, z.B. "Krieg der Welten"). Jack London hatte beide Werke gelesen, bevor er sein Buch "Vor Adam" schrieb. Auch in diesem Fall haftet ihm der Ruch des Plagiats an. Was sagt er selbst zu dem Thema? Zitat aus der Antwort auf die Anfrage eines jungen Autors: "Wer von Kunst träumt und es für nötig hält, sich von irgend jemandem in Form bringen zu lassen, der ist zu Mittelmäßigkeit verdammt. Steckt wirklich etwas in Ihnen, so haben Sie auch die Fähigkeit, sich Ihre eigene Form zu geben. Finden Sie zu sich selbst! Jammern Sie nicht. Erzählen Sie mir nicht, für wie gut Sie Ihre Sachen halten und dass sie sogar so gut seien wie andere auch. Tun Sie Ihre Arbeit verdammt viel besser, so dass Sie gar keine Zeit haben und überhaupt nicht auf den Gedanken kommen, sie mit der Mittelmäßigkeit anderer zu vergleichen." Für die Schriftsteller-Kollegen war natürlich auch schwer zu verkraften, dass Jack London so viel Erfolg hatte. Die z.T. hochgebildeten, studierten Autoren mussten sich den Rang von einem Emporkömmling ablaufen lassen. Was tun Neider: sie qualifizieren das Werk des anderen herab. Wer Schwachpunkte an einem künstlerischen Werk sucht, wird sie finden. So gibt es in den Büchern Jack Londons durchaus viele Stellen, die kitschig sind, die schwach beschrieben sind, Personen, die unglaubwürdig wirken, Theorien, die abstrus erscheinen. Obwohl viele nachfolgende amerikanische Schriftsteller von Jack Londons Werk deutlich beeinflusst wurden, gab allein Eugene O'Neill dies öffentlich zu. Henry Miller, Norman Mailer, John Steinbeck oder Kerouac: Keiner dieser Autoren-Größen wollte später mit Jack London in Verbindung gebracht werden. Andere Gründe für die Nichtwürdigung Jack Londons Werk in der literarischen Fachwelt könnten sein: Jack Londons Bücher lassen sich schwer einordnen. Sind seine Tiergeschichten philosophische Betrachtungen oder einfach nur Kindergeschichten? Stellen seine Abenteuererzählungen Literatur dar oder nur spannende Unterhaltung für die breite Masse? In der Vorbereitungsphase zu meiner Jack-London-Seite sprach ich mit vielen Menschen darüber. Wenn Jack London heute überhaupt noch bekannt ist, dann als vermeintlicher Jugendschriftsteller. Das kann verschiedene Hintergründe haben: Jack London selbst gab sich das Image des nicht alternden Helden, der auf Abenteuer aus ist. So meint man, er hätte auch für einen eher jugendlichen Leserkreis geschrieben, und zumindest auf dem deutschen Buchmarkt werden seine Bücher als Jugendbücher aufgemacht und angeboten. Er wird in die Ecke "Karl May" gerückt, obwohl zwischen Karl May und Jack London ideologische und künstlerische Welten liegen. Wenn man Jack Londons Werk im Jugendliteratur-Genre ansiedelt, ist es nicht nötig, sich mit seinen z.T. revolutionären, philosophischen Theorien zu beschäftigen. Hier liegt ebenfalls ein Knackpunkt von literaturwissenschaftlicher Seite im Umgang mit Jack London. Als bekennender Sozialist ist Jack London seinen Zeitgenossen der beginnenden Hochkapitalismusära suspekt. Viele seiner Bücher verarbeiten gesellschaftspolitisch brisante Themen. Auch dies führt dazu, dass man bis heute versucht, seine Bücher als Jugendunterhaltungslektüre abzustempeln. Bereits zu seinen Lebzeiten wird Jack London als Autor und als Mensch von allen Seiten stark angegriffen. Die bürgerliche Welt betrachtet ihn als frechen Aufsteiger. Seine realistischen Schilderungen von Grausamkeiten stoßen die Feingeister vor den Kopf. Jack erscheint in seiner Sprache vulgär und roh. Zudem kommen die verrückten Skandalgeschichten, die sich um seine Person ranken, weiterhin seine selbst geschaffenen Mythen über seine Person, z.B. er stamme aus einer englischen Adelsfamilie ab. Durch seine überstürzte Trennung von seiner ersten Frau und seinen Kindern und die plötzliche Heirat Charmians, zieht er sich den Unmut der amerikanischen Bevölkerung zu. Je mehr zweifelhafte Publicity er durch das Breittreten seiner ausgefallenen Großprojekte in der Skandalpresse erhält, desto mehr Legenden und Unwahrheiten werden über ihn verbreitet. Doppelgänger treiben auf seine Kosten ihr Unwesen. Die verrücktesten Geschichten über ihn beginnen zu kursieren. Das alles und sein Auftreten als Redner für die Sozialisten machen ihn für die bürgerliche Gesellschaft untragbar. Doch auch die Sozialisten-Kumpanen wenden sich später von ihm ab. Er selbst zieht sich aus der sozialistischen Bewegung zurück und tritt aus der "Socialist Party" aus. Seine Sozialisten-Freunde werfen ihm sein Leben auf der Musterfarm vor: die sozialistische Idee hätte er mit seinem späteren Bohemiénleben verraten, er hätte Geld, Grund und Boden angehäuft und spiele sich als Großgrundbesitzer und Lebemann auf, er leiste sich farbige Diener, behandele seine (zeitweise bis zu 100) Farmarbeiter wie Leibeigene, verrate die sozialistische Idee, indem er sich auch noch an die rechte Hearst-Presse verkaufe usw. Nach Jacks Tod versuchten die Sozialisten allerdings wieder, Jack London für ihre Zwecke zu missbrauchen, indem sie ihn als einzig wahren sozialistischen Schriftsteller und proletarischen Helden lancierten und Jacks Witwe Charmian die Schuld für seinen späteren Lebensstil zuschoben. Insgesamt stellt Jack Londons Arbeit für die Nachwelt ein schwer einzuordnendes Werk dar, an dem Kritiker sich die Zähne ausbeißen. Zu seinen Lebzeiten schrieb London einem Literaturkritiker, der seinen Gebrauch von einzelnen Wörtern kritisierte, und das Zitat gibt Aufschluss über die Selbsteinschätzung seines Schreibens: "Meinesgleichen schafft neue Autorität, indem es vom ausgetretenen Weg abgeht. Ihresgleichen steckt meinesgleichen ins Gefängnis wegen gewalttätigen Überfalls auf alte Autorität. Meinesgleichen prägt die lebendige Sprache. Ihresgleichen bewahrt die Sprache, die meinesgleichen prägt. Ihresgleichen und meinesgleichen stehen immer im Krieg. Wir waren in der Vergangenheit so und werden in der Zukunft so sein, solange Sprachen auf dem Planeten wirklich leben."
|